Neulich hatte ich einen Unfall. Einen Autounfall.
Ich bin ein sehr sicherer Fahrer. In Deutschland
leben ja die sichersten Fahrer der Welt. Da können schlimme
Unfälle gar nicht passieren. Wie in Schweden zum Beispiel.
Und außerdem haben wir die fortschrittlichsten Sicherheitssysteme
der ganzen Welt. In unseren Autos. Mein Wagen ist ein Musterbeispiel
deutscher Ingenieurskunst. Gebaut in den 70er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts. Das Modernste vom Modernen! Das Sicherste vom Sicheren.
Der hat sogar Sicherheitsgurte! Dreipunktgurte! Und einen Airbag
für den Fahrer hat er auch! Wie gesagt: absolut auf dem Stand
der Technik. Damals.
Ich hab’ den Wagen vorletztes Jahr lange in der Werkstatt
gehabt. Der hat jetzt ganze zwanzig Prozent mehr Leistung. War
ganz einfach: Neuer Motor und Rennbenzin. Zack. Fertig! Und gekostet
hat das nur den Bruchteil eines Neuwagens. Und genauso schnell.
Nur bei den Vollbremsungen, da fliegen mir immer die Radkappen
ab. Ich hab’ aber gehört, dass sei so in Ordnung. Hat
das Ministerium für Soziales in Schleswig-Holstein gesagt!
Normalbetrieb Ich also auf der Autobahn nach Geesthacht.
Im Normalbetrieb quasi: Vollgas. Plötzlich, aus dem
Motorraum quillt eine dicke schwarze Wolke
hervor und nimmt mir Sicht und Atem. Macht
aber ja erstmal nix, ist ja nicht das Auto,
ist nur das Motörchen am Auto. Das gehört
bei so ’nem
alten Ding so. Hat Frau Hapach-Kasan gesagt.
Und die kennt sich aus, die ist immerhin Bundestagsabgeordnete.
Das ist kein Fehler, das ist ein Feature!
Wir geraten trotzdem voll ins Schleudern. Alles
dreht sich – und jetzt? Keine Ahnung, was ich tun soll.
Meine Frau neben mir schreit: „Gegenlenken! Nach rechts!“ und
dann: „Nach links!“. Das sind widersprüchliche
Anweisungen. Ich lenk’ also erst mal
ein bisschen nach links und dann nach rechts.
Nutzt nix.
Ich also voll auf die Bremse. Passierte aber nix.
Ist ja auch klar. Die hab’ ich nicht tunen lassen. Das wäre
echt schweineteuer für sonne alte Möhre! Und
wozu auch? Der Wagen ist doch sicher!
Wir zwirbeln also voll über die Fahrbahn, knallen aber wie
durch ein Wunder nirgends gegen. Irgendwann steht die Fuhre. Meine
Frau kotzt mir erstmal voll in den Fußraum. Seekrank! Wir
wollen raus. Geht aber nicht. Die Fahrertür klemmt. Wir also
auf der Beifahrerseite raus. Erst mal ich und
dann meine Frau.
Die Mängelliste Kurz danach kommt die Polizei. Der guckt zuerst
auf den TÜV-Stempel! Meckert rum, dass ich da keinen aktuellen
drauf hab. Aber das kann ich erklären. Wenn
ich den Wagen mal irgendwann verkaufen will,
dann möchte ich nicht, dass jemand weiß, was
da alles kaputt ist. Das macht ja auch im Zweifel
den Preis kaputt. Der Ordnungshüter nickt nur.
Dahätte ich absolut Recht, meint er, schließlich
hätten
schon ganz andere mit dieser Begründung Prozesse gewonnen. Dann
kam ein Zeuge angelaufen und erzählte ihm aufgeregt,
dass ich mit Vollgas durch die Kurve gebrettert
sei. Der Polizist nahm daraufhin den Zeugen
fest, wegen Behinderung der Justiz. Der Beamte
meinte, der Zeuge sei bekannt dafür,
dass er gegen Raser auf der Autobahn sei. Da
müsse man sich
nicht wundern. Ich erwiderte, dass ich ja gar
nicht zu schnell fahren könne.
Zum einen bin ich ja ein zuverlässiger Fahrer
und außerdem kommt
bei mir nur allerneueste Sicherheits-Technologie
zum Einsatz. Das war dem Polizisten auch einleuchtend.
Und wo wir so hübsch beieinander standen, erzählte ich
ihm von meinem Unfall von vor fünf Jahren. Der Polizist erklärte
sich für zuständig, meinte aber, dass er das nicht weiter
verfolgen wolle, da ich ja versichert habe, ein sicherer Fahrer
zu sein. In Schweden und in Russland, da würde ja alle Nase
lang was passieren, aber hier in Deutschland ja nicht! Außerdem,
so belehrte er mich, würde er den Zusammenstoß von
damals nur ein meldepflichtiges Ereignis nennen. Und das hätte
ich ihm ja nun gemeldet.
Schnell wieder ans Netz Ich
beantragte dann, dass ich mit meinem Wagen
weiterfahren wolle. Zeit ist schließlich Geld!
Der Polizist wies mich pflichtbewusst darauf
hin, dass zwei meiner Räder abgerissen
seien. Ich sagte zu den ersten Teil der Strecke
nur mit halber Geschwindigkeit fahren zu wollen
und erst wenn er mich nicht mehr sehen könne,
würde ich wieder Vollgas geben. Das war dann auch in Ordnung.
Einen kleinen Schreck bekam ich, als er mich eindringlich anstarrte
und von mir wissen wollte, warum denn so viele
Menschen in meinem Auto säßen. Da dürften
höchstens vier Personen mitfahren. Aber ich konnte ihn beruhigen.
Schließlich ist das kein Problem, wenn da ca. 35 Menschen
drin sitzen. Ich bin ja ein sicherer Fahrer
und mein Auto entspricht den modernsten Sicherheitsstandards.
Der Polizist kratzte sich kurz am Nacken, gab
uns den Hinweis, dass meine Frau bei der
Weiterfahrt darauf bestehen solle, dass ich Ihre Anweisungen
wiederhole und gab uns seinen Segen mit den
Worten: „Es hat zu keiner Zeit irgendeine Gefahr für
die Bevölkerung bestanden.”
Dann räumte er die
Leiche des Motorradfahrers weg, den ich beim
Schleudern erwischt, aber vergessen habe
anzugeben und murmelte diesem leise ins
Ohr „Trauernicht!“
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